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Lesenswerter Beitrag zur Medientreibjagd auf die SPD

Sonntag, April 27th, 2008

Der folgende Beitrag von zwei Genossen aus Hessen greift meine Argumnetation auf, wir sollten uns selbstbewußt um die Verwirklichung sozialdemokratischer Politik kümmern und uns nicht von interessierten Gegnern ins politische Schachmatt treiben lassen. Auch sie raten : Hört auf das, was uns Willy Brandt zu sagen hatte :
„Entscheidend ist nicht, mit wem, sondern für was“

Was wir von Willy Brandt erfahren können und wie leere Formeln die Substanz demokratischer – und linker – Politik aushöhlen. Von Volker Koehnen und Rüdiger Lang.

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Die SPD befindet sich, glaubt man den Kommentatoren, aktuell „im Keller“ der politischen Stimmung. Die heftigen Diskussionen rund um den Umgang mit der Linkspartei wühlen die Partei auf und bringen die Öffentlichkeit und politischen Gegner gegen sie in Stellung. Was ist passiert? Nach dem Zusammenschluss von WASG und PDS ist es der neu entstandenen Linkspartei gelungen in bis dato vier Landtage einzuziehen. Und natürlich dauerte es nicht lange, bis sich für die SPD die Gretchenfrage stellt: „Wie hältst du’s mit den Linken?“

Nach anfänglichen Dementis nichts von und mit der Linkspartei zu wollen, verkündete die Partei – zugegebenermaßen etwas abrupt – eine neue Strategie im Umgang mit der Linkspartei und in Hessen wurde nach der Landtagswahl schließlich versucht, eine neue Regierung unter Tolerierung der Linkspartei zustande zu bringen. Eigentlich ein normaler Vorgang im politischen Geschäft, wenn neue Gegebenheiten dazu zwingen. Eigentlich. Denn das, was sich als Reaktion darauf in Bevölkerung, Medien und beim politischen Gegner abspielt, ist alles andere als normal.

Guter Rat ist teuer
Versprechen, Glaubwürdigkeit, Anschuldigung, Wortbruch, Lüge – das sind die (Begriffs-)Zutaten, aus denen derzeit ein hochexplosives Gemisch aus Hysterie und Politikerschelte gebraut wird. Es vergeht kein Tag, an dem die öffentliche und veröffentlichte Meinung sowie der politische Gegner auf die SPD einprügeln. Die Wirkung lässt nicht lange auf sich warten: historische Umfragetiefs kennzeichnen derzeit die Lage der SPD.

Guter Rat scheint in dieser verfahrenen Situation teuer zu sein; nach wie vor ist das Grummeln kaum zu überhören. Will man über das der SPD hingehaltene Stöckchen, das „Personalisierung/Kanzlerkandidatenfrage“ heißt, nicht springen, muß das, was da gerade vor sich geht, Stück für Stück frei gelegt werden. Da wäre zunächst die inhaltliche Frage, ob es Kooperationen mit der Linkspartei gebe soll.

Altebekannte Diskussionen
Am deutlichsten sind die Gegner jeglicher Zusammenarbeit zu vernehmen. Da wird ohne Not vorschnell das Tischtuch zerschnitten. Was hätten wohl, so fragen sich manche in dieser Situation verzweifelt, unsere Altvorderen getan? Es gibt eine Rede Willy Brandts vom Juni 1987, in der er die SPD eindeutig dazu ermuntert, neue Wege in einer neuen strategischen Situation zu gehen.

Einzelne Passagen lesen sich so, als ob der große Vorsitzende – sozusagen aus dem „Off“ – in die aktuelle Debatte eingreifen würde. Und es ist frappierend, wie aktuell sie heute erscheinen. Doch worum ging es damals überhaupt? In den 1980er Jahren tobte in der SPD ein sehr ähnlicher Kampf um die Frage, ob es Kooperationen mit der neuen Partei DIE GRÜNEN geben könne, die sich in den bundesdeutschen Parlamenten zunehmend etablierte.

Die historische Parallele ist verblüffend: damals wie heute ging es um eine neu auftauchende Konkurrenzpartei, die irgendwie auch „Fleisch vom Fleische“ der SPD war; damals wie heute redeten sich die Genossen die Köpfe heiß, ob es punktuelle Zusammenarbeit oder gar Koalitionen geben könne und dürfe, und: damals wie heute wurde die Debatte sehr heftig und emotional geführt.

Willy Brandt jedenfalls fand als SPD-Chef damals deutliche Worte. Anlässlich seines Rückzuges vom Parteivorsitz hielt er im Juni 1987 auf dem außerordentlichen Parteitag in der Bonner Beethovenhalle seine Abschiedsrede. Unter der bezeichnenden Überschrift „Bewegungskraft“ – gemeint war wohl die Kraft der SPD, sich politisch vorwärts bewegen zu können – plädierte er nachdrücklich dafür, die Fakten anzuerkennen.

Brandt gegen Tabus
Zunächst wendet er sich den Kritikern zu: „Mit Erstaunen habe ich zur Kenntnis genommen, was alles (…) an (…)Thesen verkündet wurde: Als ob die SPD mit einer neuen Partei nie zu tun haben dürfe. Als gebe es eine sozialdemokratische Doktrin für ein zeitweiliges Zusammengehen oder Nichtzusammengehen mit einer anderen Partei.“

Brandt lehnt also Vorfestlegungen oder Tabus schlicht ab. Und er setzt sich mit dem aufgeheizten Klima in der Öffentlichkeit und mit den Chaosbeschwörungen des politischen Gegners, die damals wie heute die selbe Zielrichtung hatten bzw. haben, auseinander: „Eine überflüssige Fracht ist uns (…) aufgeladen worden, als man von rechts die Kommunistenfurcht früherer Zeiten mobilisierte und uns anzuhängen versuchte, wir wollten ein ‚rot-grünes Chaos‘, wenn nicht herbeiführen, so doch in Kauf nehmen. Kein Zweifel, dass hier auch mit Aversionen gearbeitet wurde (…)“.

Trotz aller „Lockerungsübungen“ hält Brandt aber unmissverständlich fest: „Es konnte und es kann keinen Zweifel geben, dass die Partei-Grünen Gegner sind.“ Und er hält den eigenen Teil der Verantwortung für das Entstehen der neuen Partei fest: „Freilich, eigene Versäumnisse haben dazu beigetragen, diese Gruppierung – für eine gewisse Zeit – stark werden zu lassen.“

Damals wie heute: Landesverbände entscheiden
Trotz der Notwendigkeit von Abgrenzung und der Benennung der eigenen Verantwortung verteidigt Brandt den Beschluss des Parteivorstandes und des Parteirates vom Januar 1987, der einen analogen Inhalt zu dem aktuellen Vorstands- und Parteiratsbeschluss gegenüber der Linkspartei aufweist: „(Wir) stimmten nahtlos darin überein, dass wir das Gesetz des Handelns in die Hand nehmen und die Repräsentanten der neuen Partei (…) veranlassen sollten, zu den realen Problemen der Menschen (…) Farbe zu bekennen. Wir waren uns auch einig darüber, dass wir in Gemeinden, in Ländern, gegebenenfalls auch im Bund von Fall zu Fall darüber zu entscheiden hätten, ob und wie im Zusammenwirken mit anderen ein jeweils wesentlicher Teil unserer Vorstellungen durchgesetzt werden kann. Ich erkenne keinen Grund, dahinter zurückzugehen.“

An der entscheidenden Stelle seiner Rede pocht Brandt auf die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der SPD, eigene Mehrheiten jenseits der CDU/CSU zu organisieren: „Die bleibende Lehre ergibt sich aus der Frage: Darf die SPD es zulassen, dass ein Bürgerblock mit seinen publizistischen Hilfstruppen darüber entscheidet, ob dann, wenn eine parlamentarische Konstellation dies möglich macht, die SPD teilhat an der Regierungsverantwortung oder nicht? Wollten und wollen wir zulassen, dass die Rechte uns unserer Bewegungsfreiheit beraubt und uns von ihren Gnadenerweisen abhängig macht? Ich meine: Darauf dürfen Sozialdemokraten sich auch in Zukunft nicht einlassen.“

Lehre aus der Vergangenheit?
Soweit Willy Brandt mit Worten, die durchaus auch heute hätten gesprochen werden können. Sicher: es ist immer ein zweischneidiges Schwert, inzwischen historisch gewordene oder gar verstorbene Altvordere als eine Art Autorität für aktuelle Belange zu mobilisieren, weil es sich eben um frühere Aussagen zu früheren Problemkonstellationen handelt. Zudem besteht die Gefahr, dass die jeweils eine Gruppierung die ins Feld geführten Autoritäten zur Deklassierung der anderen Gruppierung missbrauchen könnte.

Dennoch: wenn man sich dieser Problematik bewusst ist und wenn die Problemlagen von gestern und heute sich derart frappierend gleichen, muss es der Klärung wegen gestattet sein, auf frühere Aussagen von geschätzten Parteigenossen zurück zu greifen.

Vorerst scheint in der Öffentlichkeit aber auch in Teilen der Partei, ganz im Gegensatz zu Brandts weitsichtigen Empfehlungen, eher ein irrationaler und verängstigter Kurs maßgeblich zu sein, der noch auf ein weiteres und vielleicht tiefliegenderes Problem der gegenwärtigen Debatte hindeutet. Aktuell redet alles von Glaubwürdigkeit, fast niemand von politischen Inhalten. Das Pferd namens „Wort halten!“ wird bis zur völligen Erschöpfung geritten und niemand kommt auf die Idee, in einen ICE mit Fahrtziel „politische Programmatik“ einzusteigen. Kurz: Empörung und moralinsaure Vorwürfe drohen, demokratische Politik zu ersetzen.

Kompromiss ist Teil der Demokratie
Dabei scheint zunehmend das eigentliche Lebenselixier der Demokratie in Vergessenheit zu geraten: das Politische. Eine Demokratie lebt maßgeblich von Auseinandersetzungen um Inhalte, vom Streit um den richtigen programmatischen Weg und vom Wettbewerb der Ideen für die Zukunft unseres Gemeinwesens. Und: Demokratie ist konstitutiv verbunden mit dem Schließen von Kompromissen. Nun ist durchaus zu konzedieren, dass der Kompromiss – oder besser: die Suche danach – nicht immer sexy oder aufregend ist.

Vielleicht ist dies die erste Diagnose, die man angesichts der gegenwärtigen Debatte stellen kann: gesucht wird das Spektakel, das Aufregende, das Empörende, der Paukenschlag; und gemieden wird das beharrliche, anstrengende, manchmal unauffällige – jedenfalls oft unspektakuläre – und nüchterne Bohren dicker inhaltlicher Bretter. Wo aber das Spektakel das Ringen um die Zukunft ersetzt, droht der Ausverkauf unserer Demokratie, weil allein ein buntes verbales Feuerwerk noch kein Gemeinwesen konstituiert.

Inhalte zählen nicht
Besonders prägnant ist dabei die allgegenwärtige Diskussion um die politische Glaubwürdigkeit der SPD, die sich als mediales Spektakel inszeniert – scheint es doch gegenwärtig um nichts weniger zu gehen als um Wahrheit, Lüge, und Konsequenz. Das Halten von angeblichen Versprechungen, gemachten oder erfundenen, ist wichtiger als das, was mit ihnen eingehalten oder enttäuscht werden soll. Denn das Scheitern an einem allseits geachteten Lebensprinzip („Halte stets deine Versprechen!“) ist ob seiner „menschlich anrührenden Dramatik“ immer besser im Massendiskurs zu verwursten, als das, worum es dabei in der Sache eigentlich geht.

Sicher haben Fragen des Vertrauens und der Nachvollziehbarkeit alltäglicher oder politischer Entscheidungen eine Bedeutung für das Zusammenleben von Menschen; auch haben sie sicher ihre Bedeutung für Politikerpersönlichkeiten und schließlich: die Politik ist und soll kein ethikfreier Raum sein. Doch die Strategie der gegenwärtige Debatte ist es die Politik zugunsten einer innhaltlich leeren politischen Ethik zu verdrängen. Denn das Politische – verstanden als werteorientiertes Entscheidungshandeln entlang von Inhalten – kommt im politischen Diskurs immer weniger vor; seinen Platz nimmt eine mit Blut, Schweiß und Tränen getränkte Auseinandersetzung um vermeintliche Wortbrüche ein.

„Prinzip der Prinzipientreue“
Statt um Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu ringen, werden individuelle und kollektive, ethische Imperative überwacht. Demokratische Politik aber kann ohne beides nicht sein: Wertorientierung plus politischer Inhalt. Das führt zu einem letzten aber entscheidenden Punkt der Diagnose. In der vorliegenden Debatte geht es vor allem um die Einsetzung des politisch leeren Prinzips, welches zum eigentlichen, politischen Kapital im Kampf um die Macht aufgewertet wird.

Es ist das „Prinzip der Prinzipientreue“ um jeden Preis, ohne dass eine vernünftige inhaltliche Konsequenz jemals gezogen werden kann, da nicht diskutiert wird, wer auf welcher politischen Grundlage welche politischen Prinzipien jemals aufgestellt hat. Diese inhaltliche Leere der Diskussion ist offensichtlich gewollt, da sich nur so das Prinzip um des Prinzips Willen, die Konsequenz um der Konsequenz Willen durchsetzen lässt, die sich wiederum wesentlich besser vermarkten und vermitteln lassen als langwierige, komplizierte, inhaltliche Diskurse.

So scheint die aufregendste Frage in der momentanen Auseinandersetzung um die sogenannte Glaubwürdigkeit der SPD zu sein, wer sich an welche Versprechungen gehalten hat und nicht warum sie überhaupt gemacht wurden. Der sich hinter den Prinzipien der Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und des Worthaltens, versteckte politische Diskurs ist jedoch langfristig politisch gefährlich, weil er nichts, aber auch gar nichts über die Qualität und Reichweite eines politischen Programms – wie z.B. über dasjenige von Andrea Ypsilanti: Mindestlohnpolitik, neue Bildungschancen ohne Studiengebühren und Energiewende – und seiner Umsetzung zu sagen hat, aber gerade in seiner politischen Leere zum Maßstab zur Beurteilung von Politik, Parteien und Politikern wird.

Je mehr wir die Prinzipien der Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und des Worthaltens wie eine Monstranz vor uns hertragen, desto deutlicher scheinen dahinter die Zweifel und das schlechte Selbstbewusstsein der postmodernen Gesellschaft gegenüber einer konsequenten Durchsetzung dieses ethischen Dreigestirns auf. Diese Entwicklung ist nun so problematisch, weil sich dahinter die politische Form der Diktatur also der „Diktatur des Prinzips um des Prinzips Willen“ verbirgt.

Diktatur des Prinzips
Dies gilt nicht etwa weil der Diktator selbst kein privates, politisches Programm hätte, sondern weil er es in der Diktatur des Prinzips nicht offen legen muss, denn es wird auf der Rückseite der Auseinadersetzung um die Frage wie konsequent der Herrscher herrscht, also die Glaubwürdigkeit seines machtpolitischen Sexappeals, stillschweigend akzeptiert, oder gleich gar nicht zur Kenntnis genommen.

Kein Platz für notwendige Debatten
Die eigentlich notwendige Debatte um den richtigen, inhaltlichen Weg verkommt bei der Auseinandersetzung um die Prinzipientreue der „classe politique“ zur Show-Veranstaltung. Wenn alle Energien auf die Überwachung von leeren Prinzipien verwendet werden, bleibt keine Kraft und kein Raum mehr für den für eine Demokratie so existentiell wichtigen Wettbewerb um die politische Zukunft der Gesellschaft und des Zusammenlebens. Wie schließen wir die zunehmende Lücke zwischen arm und reich? Wie schaffen wir die Klimawende? Welche Bildungschancen sollen welche Menschen bekommen?

Die Folge ist, dass der ja real zu spürende Problemdruck für die Bevölkerung (Arme, Kranke, Chancenlose) beständig zunimmt. Gelangt er irgendwann und irgendwo einmal an einen Siedepunkt, muss sich der geballte Stau entladen. Da aus der politischen Kultur die inhaltliche Auseinandersetzung gerade wieder einmal völlig zu verschwinden droht, nimmt es nicht Wunder, dass sich die angestaute Wut notwendigerweise und immer öfter in der Anwendung des leeren Prinzips par excellence entlädt: dem Ressentiment. Wie wir wissen, ist vor dieser Falle weder die Linke noch Die Linke sicher.

Denn auch dies ist klar: die parlamentarische Demokratie und mit ihr ihre Protagonisten, die Parlamentarier, müssen im Gegensatz zur Diktatur zwangsläufig an einer Politik des leeren Prinzips auf Kosten politischer Inhalte scheitern. Die Demokratie braucht den inhaltlich aufgeladenen politisch spektakulären Diskurs; der Politik der Diktatur reicht zur Durchsetzung das politisch inhaltlose Spektakel.

Wer profitiert vom nein zu rot-rot?
Die aktuelle politische Situation wird dadurch noch komplizierter, wenn man neben des „Ethik-Hypes“ auch noch andere Faktoren in die Analyse einbezieht. So könnte man beispielsweise danach fragen, wer oder was ein eminentes Interesse daran hat, dass keine Regierungspolitik unter Beteiligung der Linkspartei stattfindet und die SPD in genau der Lage ist, in der sie sich aktuell befindet.

Da fiele einem zunächst der parteipolitische Gegner ein, also CDU/CSU und FDP. Das scheint aber eher üblich zu sein, dass Schadenfreude dort aufkommt, wo die politische Konkurrenz in Nöte gerät. Parteienkonstellationen alleine reichen also nicht aus, um die Lage zu erklären. Wer erfassen will, was da gegenwärtig vor sich geht, muss tief in die inhaltlich-politischen Konfliktlagen und Machtkonstellationen vordringen, die gegenwärtig die Gesellschaft prägen.

Zunächst: was würde es politisch (nicht strategisch) bedeuten, wenn eine SPD-Politik – z.B. in Hessen – regierungsamtlich würde, die die Linkspartei mit einbezieht? Nun, die Wahlaussagen waren klar, es würde wohl eine „linke“ Politik betrieben werden. Von der Konstruktion eines solchen Politikentwurfs her ist es klar, dass alle jene Interessengruppierungen, Verbände und Parteien, die seit nahezu 20 Jahren die Deutungs- und Gestaltungsmacht in diesem Lande haben, ihre Vormachtstellung verlieren würden: Atomlobby, Wirtschaftsverbände mitsamt ihren „publizistischen Hilfstruppen“.

Es würde nach langen Jahren wieder der politische Versuch unternommen, eine „linkere“ Politik in diesem Lande durchzusetzen. Und dies ist – vorsichtig ausgedrückt – offenbar nicht gewollt von all jenen Gruppierungen, die es bisher gewohnt waren, nachhaltiges Gehör bei politischen Entscheidern zu bekommen.

Eine rot-rot-grüne Politik würde die Machtfrage neu stellen, indem sie quer zum neoliberalen Mainstream auf andere Inhalte setzte. Wer hätte etwas davon? Die Demokratie wäre wohl eine Gewinnerin dieser Entwicklung: endlich wäre es wieder möglich, den Wettbewerb zwischen klaren Alternativen zu organisieren.

Weite Teile der Bevölkerung könnten sehen, daß das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit wieder stärkere Berücksichtigung fände. Auch die diese neue Politik tragenden Parteien könnten wohl bei den nächsten Wahlen mit einer Honorierung ihres Kurses rechnen. Genauso klar wäre aber auch die Gruppe der Verlierer: das „neoliberale Kartell“.

Was hat dieser Befund nun mit unserem Thema zu tun? Die stattfindende Debatte um vermeintliche Wortbrüche, die moralinsaure Mahnwache sind ein gigantisches Ablenkungsmanöver per Nebelkerzen. Offensichtlich soll nicht diskutiert werden, was eine linke Regierung in Hessen bedeuten würde; stattdessen verlagert man die Abwehr in den weitgehend politikfreien Raum ethischer Prinzipien. Hier kann also durchaus klassische Ideologiekritik betrieben werden. Daß dieses Manöver von Öffentlichkeit und Medien nicht durchschaut wird, gehört zum eher pessimistisch stimmenden Beigeschmack der Lage.

Was ist also zu tun?
Zunächst und als erstes die klare Benennung der eigentlichen Fronten in diesem Spiel: wer will hier was und wer will dagegen in dieser Republik unbedingt eine andere Politik vermeiden? Wichtig ist aber vor allem die Rehabilitierung des politischen und kontroversen Diskurses. Vonnöten ist auch die Dekonstruktion des Ethikprinzips als Politikersatz. Konkret bedeutet dies für die SPD, selbstbewußt einen inhaltlichen Entwurf für die Zukunft unseres Gemeinwesens für sich zu reklamieren.

So könnte sie inmitten des Stahlgewitters der selbsternannten „Sittenwächter“ den politischen Gestaltungsanspruch in den Vordergrund rücken, indem sie ihre Programmatik zur Debatte stellt, getreu dem Motto: „Ob wir unser Wort gehalten haben oder nicht mögen andere entscheiden, wir aber fühlen uns den Inhalten verpflichtet, für die wir gewählt worden sind. “ Nötig ist also die zuspitzende Frage an die Wähler/innen: „Wollt ihr in Hessen die Aussicht auf eine sozialere, ökologischere, weltoffenere Politik – oder wollt ihr die konsequente Haltung gegenüber dem reinen Prinzip, was immer dieses auch sein mag?“ Dazu müßte sich die SPD jetzt durchringen. Und eine solche Politik auch unter der Beteiligung der Linkspartei zu verwirklichen, hätte vor dem diskutierten Hintergrund dann kein Schreckenspotential mehr.

Abschließend sei noch einmal Willy Brandt mit einem richtungsweisenden Satz aus seiner Abschiedsrede zitiert: „Entscheidend ist nicht, mit wem, sondern für was.“ Es ist also nicht die Frage entscheidend, mit welcher Partei wie auch immer kooperiert wird. Das „Was“ entscheidet – die Frage nämlich nach inhaltlich-programmatischen Politikaussagen zur Gestaltung unseres Gemeinwesens.

Volker Koehnen, Diplom-Politikwissenschaftler, Friedberg (Hessen)
Dr. Rüdiger Lang, Diplom-Physiker, Frankfurt/Main